© Tages-Anzeiger; 20.02.2004; Seite 59
Kultur
Verbrüderung beim Trinkfest
«Matterhorn-Produktion» füllt im Fabriktheater Zürich den Graben zwischen der SP und der SVP mit Bier.
Von Charlotte Staehelin

Viel Gerstensaft fliesst an diesem Theaterabend die rauen Männerkehlen hinunter. Er lockert die Zungen, schmiert die Gedanken und schürt die Emotionen. Er macht Louis, den SVP-nahen Drogisten aus Hindelbank, und den abgewählten Zuger SP-Nationalrat Geri innerhalb weniger Stunden zu alten Bekannten. Lässt sie über Kantons- und Parteigrenzen hinweg einmütig durch Berns Beizen ziehen und an zahlreichen Holztischen Biergläser leeren.
Dieses Setting hätte leicht in eine simple Stammtisch-Parodie abdriften können, in ein voraussehbares Spiel mit Trinksprüchen und Männlichkeitsritualen oder in eine billige SVP-Schelte. Guy Krnetas Mundarttext «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken» spielt zwar mit politischen Inhalten, hat jedoch tiefer liegende Strukturen im Auge. So entlarvt der Berner Autor süffisant eine Mischung aus Unsicherheit, Geltungsdrang und Ratlosigkeit als die Kehrseiten von markigen Sprüchen, politischen Überzeugungen und vermeintlichen Patentlösungen.
Mit einem guten Rhythmusgefühl und detailliert choreografierten Bewegungsabläufen gelingt es Ursina Greuel in ihrer Inszenierung, den sorgfältig komponierten Text zu packen. Inhaltlich verstärkt die Regisseurin die bizarren Züge der Männerbekanntschaft.
Mit Herwig Ursin als skeptisch-zerquältem Geri und Thomas U. Hostettler, als Louis forsch-freundlich, hat die Regisseurin zwei wunderbare Schauspieler zur Verfügung, welche die emotionalen Umschwünge der beiden Protagonisten sicher treffen, fliessend vom Showtrinken übers Kampftrinken ins heulende Elend wechseln. Und so betreten herumdrucksen können, dass man ihnen aus dem Publikum am liebsten laut zuriefe: «Chumm, näht no eis!»