© Berner Zeitung; 12.01.2004; Seite 17
BZ-Kultur
Schlachthaus Bern
Zwei Männer und 18 Stangen Bier
Guy Krnetas Stück «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken» wurde letztes Jahr mit dem Welti-Preis ausgezeichnet. In einer ausgezeichneten Inszenierung ist es nun als Premiere in Bern zu sehen.
Von Elio Pellin

Es sind zwei ziemlich traurige Gestalten, die da in sich zusammengesunken hocken. Der eine auf einem Holzstrunk, der andere an einem blank polierten Beizentisch. Und hinter ihnen, schön aufgereiht auf dem Bord einer angedeuteten Holzkassettenwand, 18 gut gefüllte Stangen Bier. Die werden in Ursina Greuels Inszenierung von Guy Krnetas Stück «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken» leer gesoffen - von Louis Wilhelm (Thomas U. Hostettler), Drogeriebesitzer aus Hindelbank, und Geri Moos (Herwig Ursin), abgewählter Nationalrat und Berater aus Zug.
Viel gemeinsam haben sie nicht, Louis und Geri, und trotzdem kommen sie für eine durchzechte Nacht zusammen. Die Leere mit Bier füllen zu wollen ist offensichtlich Gemeinsamkeit genug. Was «Das Leben ist viel zu kurz ...» zeigt, ist aber keine platte Saufkumpanei, das sind keine Säufersentimentalitäten. Guy Krneta hat in seinem Text, den er eine «Rhapsodie» nennt, Dialekt- und Umgangssprache verdichtet, montiert, rhythmisiert. Nicht so radikal wie etwa Beat Sterchi mit seinem Stück «Das Matterhorn ist schön». Im Gegensatz zu Sterchis Text treten die Figuren nicht hinter die Mechanik der Alltagssprache zurück, sondern bekommen im Verlauf des Stücks ausgeprägte Konturen, Biografien und psychologische Umrisse. Louis ist der etwas hemdsärmlige Kleingewerbler, der sich in seinem Überlebenskampf allein gelassen und deshalb in der SVP heimisch fühlt. Geri ist der etwas weltgewandtere Berater und Ex-SP-Nationalrat, der von Volk und Partei fallen gelassen wurde.
Haarsträubende Dialogsalti
Louis und Geri sind nicht nur traurige Gestalten, sie sind auch erschütternd tragikomisch. In ihrem Elend reden sie immer haarscharf aneinander vorbei, letztlich nur fixiert aufs eigene Unglück und die eigene Wut. Die beschworene Gemeinsamkeit ist weit gehend nur behauptet, in haarsträubenden Dialogsalti simuliert. Das ist die unbestreitbare Stärke von Krnetas Text.
Was Krneta Anlass zu seinem Stück gegeben hat, mag etwas gar gut gemeint und politisch zu handlich wirken: die Krise der Identität in einer Phase, in der Shareholder-Value-Denken und Liberalisierung die Mythen des guten Lebens in der Schweiz zertrümmert haben. Doch dabei bleibt es nicht, «Das Leben ist viel zu kurz ...» ist keine blosse Illustration einer politischen Grundsatzerklärung. Krnetas Stück, das letzten Oktober von der Schweizerischen Schillerstiftung mit dem Welti-Preis ausgezeichnet wurde, ist nicht nur sprachlich, dank ungeheurem Gespür für die mikroskopisch kleinen Feinheiten und Katastrophen des Wortwechsels, meisterhaft. Krneta gelingt es auch, seine beiden Figuren zugleich komisch und abgründig zu formen.
Zwei Männern beim Biertrinken zusehen und ihnen zuhören, was sie im Alkoholdunst faseln, das ist ja an sich nicht sehr spannend und könnte Gelegenheit für larmoyante Peinlichkeiten sein. Nichts davon in «Das Leben ist viel zu kurz ...». Nicht im Text und schon gar nicht in der Inszenierung von Ursina Greuel, die mit Krneta für «Matterhorn Produktionen» zusammenarbeitet und sowohl bei Beat Sterchis «Das Matterhorn ist schön» wie Krnetas «Zmittst im Gjätt uss» Regie geführt hat.
Greuel hat sehr zurückhaltend inszeniert. Sie setzt nicht auf grosse Gesten und Betriebsamkeit, sondern auf die Feinheiten im Gegen- und Miteinander der beiden Hauptfiguren. Vielschichtiger lässt Greuel Hostettler und Ursin agieren, lässt im richtigen Moment peinliche Stille eintreten oder - endlich - beim einen, dann beim anderen das ganze Unglück als Fluch- und Klageschwall losbrechen.
Dicke Lebenslüge
Einen Text so umzusetzen, mit genauem Timing der austarierten Dialoge und bei allen grotesken Elementen mit grosser Differenzierung der Figuren, das kann nur mit ausgezeichneten Darstellern gelingen: Markus Mathis&rsquo Kurzauftritt als geschasster Bärenwärter und Barkeeper ist fulminant, Thomas Hostettler und Herwig Ursin sind umwerfend. Hostettler, der in seinen Rollen oft schier zu platzen scheint vor Energie, gibt seinem Louis etwas zugleich Schmieriges und Verzweifeltes. Herwig Ursin macht aus seinem Geri mehr als nur überzeugend einen, der in einem traurigen Hotelzimmer und mit einer dicken Lebenslüge lebt. Ihnen zuzuschauen ist eine Freude. ·
Weitere Vorstellungen: 13., 14., 15., 16., 17. 1., 20.30 Uhr, Schlachthaus. Reservationen: Tel. 031 312 60 60. Im Anschluss an die Vorstellung vom 13. 1. diskutieren Ständerätin Simonetta Sommaruga und Nationalrätin Ursula Haller über die Politik im Theater und das Theater in der Politik.
Bild zvg
Reden haarscharf aneinander vorbei: Thomas Hostettler als SVPler Louis (links) und Herwig Ursin als SP-Mann Geri.