© Berner Zeitung; 07.11.2009; Seite 27
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Schlachthaus Theater
Sprechkonzert über Sprechprobleme
Was passiert, wenn die Wörter im Mund hängen bleiben? «Stottern und Poltern» von Guy Krneta geht den Sprechstörungen nach.
Manchmal gibt es einen Sitzstreik im Mund. Dann wollen die Wörter einfach nicht herauskommen. Oder sie bleiben wegen eines Widerhakens ungewollt im Mund stecken. Dort treffen sie auf die groteske Zunge, den Wächter der Worte, der es gern dunkel und feucht hat. So beschreibt der Berner Autor Guy Krneta das Phänomen des Stotterns in seinem Text «Stottern und Poltern». Basierend auf Interviews mit Betroffenen und Logopäden, nahm Krnetas Formation Matterhorn-Produktionen die Sprechstörungen als musikalische Chance und baute eine Komposition, in der Sprache zunächst als Rhythmus und Musik im Vordergrund steht. Die Klänge und Melodien dazu arrangierte der Stimmenkünstler des Duos Stimmhorn, Christian Zehnder. Regisseurin Ursina Greuel vereint die Klänge und die Sprache zu einem sphärischen Sprechkonzert.
Stotter-Alltag
Berührend und gleichzeitig humorvoll sind die Einzelschicksale, die in der Inszenierung Erwähnung finden. So verkörpert die Schauspielerin Franziska von Fischer eine Stotterin, die während Bewerbungsgesprächen zu hören bekommt, dass ihre Qualifikationen zwar super seien, man sich aber schon frage, wie das mit dem Telefonieren klappen soll. Ein anderer Stotterer (Krishan Krone) beklagt sich darüber, dass er im Gespräch immer wieder stockt und nach zehn Sekunden niemand mehr weiss, von was er gesprochen hat. Tragikomisch auch das Schicksal eines Vierjährigen, dem das Wort «Hamburger» nicht über die Lippen will. Er muss sich ein neues Lieblingsessen suchen – nicht unbedingt eines, das er lieber mag, aber eines, das er aussprechen kann.
Problem wird zur Melodie
Von höchster Präzision sind die rhythmischen Sprechgesänge, welche die Schauspieler gemeinsam mit dem Kontrabassisten Michael Pfeuti und der Klangforscherin Margrit Rieben auf einer leeren Bühne zum Besten geben. Dadaistischen Wortfetzen folgen mit Mikrofon verstärkte Kehlkopflaute, und schnelle Licht- und Rhythmuswechsel erschaffen stets neue Situationen. Stottern wird zum Trommelwirbel oder zur Cellovirtuosität, und auch das grösste Sprechproblem wird zur Melodie.
Magdalena Nadolska