Die Chance der zerhackten Worte

Krishan Krone, Margrit Rieben, Michael Pfeuti, Franziska von Fischer.

Viecher, die Silben im Rachen zerhacken, Maschinen, die Wörter auf der Zunge absaugen und als Staub ausblasen, glitschige Engpässe, in denen Laute ins Schleudern geraten, aufeinanderprallen und verbeult aus dem Mund herauskommen: So beschreiben stotternde Schüler unter ihren Bildern, die im Rossstall der Kaserne Basel an der Wand hängen und den Weg in die Reithalle schmücken, ihr Spracherleben. Der in Basel lebende Schriftsteller und Dramaturg Guy Krneta und der ebenfalls dort gelandete Vokalartist, Arrangeur und Komponist Christian Zehnder haben solche Stotter-Erfahrungen als Rohstoff eines gemeinsamen Stückes genutzt. "Stottern und Poltern" nennt das Duo dieses für die Matterhorn Produktionen verdichtete und vertonte "Sprechkonzert", das nun Premiere hatte.

Krnetas Text- und Zehnders Klangkompositionen entpuppen sich in Ursina Greuels Inszenierung aber mitnichten als dokumentarische Aufarbeitung einer Sprachstörung und deren biografischer Rekonstruktion. Im Gegenteil: Die Störfaktoren sind hier ein Vehikel, soziale, emotionale, philosophische und ästhetische Räume neu zu vermessen – das vermeintliche Defizit wird mithin zur Chance, Horizonte zu erweitern, Übersehenes zu entdecken, ein Fenster in eine vierte Dimension. Ein Verfahren, das an den deutschen Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn oder dessen österreichischen Kollegen Leo Navratil erinnert: Beide erkannten im 20. Jahrhundert das kreative Potenzial psychisch Kranker und eröffneten dem Literatur- und Kunstbetrieb durch die Integration dieses "Anderen" neue Perspektiven.

Andere, neue Türen in die Welt der Sprache und damit die Wirklichkeit ist denn auch ein Fokus von "Stottern und Poltern": Die von Franziska von Fischer und Krishan Krone eindringlich eingespielten Erzählungen der fiktiven Protagonisten stellen ein ums andere Mal das Selbstverständliche in Frage. Da, wo Worte im Mund kleben und erst über die Lippen kommen, wenn der Adressat längst andere Sender empfängt, da, wo die Pausen lang und leer werden, da, wo die Semantik im Wortgewürge zerbröselt, zerfällt auch unhinterfragt gültiger Sinn, schälen sich neue Aspekte aus den Nebeln der Konventionen. "Stottern und Poltern" reflektiert so auch Kommunikation und soziale Muster. Wenn zum Beispiel Tricks, die sich die Stotternde zurechtlegt, um ihr Stottern zu kaschieren, ihr Leben zu beherrschen beginnen, wenn der Stotternde die Denkrichtung verliert, weil er nur Worte verwendet, die stotterfrei zu sprechen sind: Dann ist das auch als verallgemeinerbare Chiffre für Verdrängungs- und Vermeidungsstrategien und deren Folgen zu sehen.

Aber es geht auf der durch einen rechteckigen Lichtfleck markierten, karg gehaltenen und auf wenige Requisiten beschränkten Spielfläche (Jens Seiler und Bettina Ginsberg) auch viel allgemeiner um Sprache, Bewusstsein und Musik. Dabei oszillieren die Ebenen zwischen philosophisch schweren Sätzen, die aus dem Setzkasten von Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie gegriffen scheinen ("Wie viel Laut von einem Laut ist nötig, damit es ein Wort ergibt?") und Sprache fast in den Status eines Subjektes erheben, humorvollen Pointen ("Manchmal sagt ein Blick mehr als alle Laute!") und purer Unterhaltung, für die eine Serie mehr oder weniger derber Stotterer-Witze sorgt, die auch im Publikum hörbare Belustigung erzeugen.

Gestützt und mitunter gezogen von Michael Pfeuti am Kontrabass und Margrit Rieben, die am Snare Drum mit wenigen Rhythmen viel bewegt, verwandelt sich der gesprochene Text zudem immer wieder in Rhythmus, in Musik und die in sinnhafte Kommunikation. Sprache zerfällt in Worte, Worte in Silben, Silben in Laute und daraus wächst Rhythmus. In der Zerstörung entsteht letzlich eine neue Form der Kommunikation: Auch wenn im Quartett gescattete Lautfolgen wie Fa-Cu-Ba-Fi-Mo spontan an dadaistisches Sinnzertrümmern erinnern, sind sie das Gegenteil: Die Schwarzen Löcher der stotternder Münder, die alles verhackstücken und verschlingen, werden auch zu Brutstätten einer neuen, Genregrenzen aufhebenden Erzählung – eine optimistische, eine begeisternde Botschaft.


–  heute und morgen jeweils 20 Uhr, Kaserne Basel (Reservation: 0041/61/6666000); 5., 6. und 7. November, 20.30 Uhr, Schlachthaus Theater Bern sowie am 5., 9., 11. und 12. Dezember, jeweils 20.15 Uhr, Theater Tuchlaube Aarau (Tickets: 0061/62/8341034).