© Der Bund; 21.11.2011; Seite 31
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Der kleine Bund
Bitte nachrechnen!

Blass, fahrig, banal: Matterhorn-Produktionen befassen sich mit der Mathematik.
Pia Strickler

«Was ist Mathematik?», schreibt der Mann in exakter Schnürchenschrift an die Wandtafel. Sie macht Angst, sie befriedigt, sie ist schön. Sie beweist, dass es mehr Grashalme als Bäume und mehr Dezimalzahlen als natürliche Zahlen gibt, erklärt ein anderer Mann. Der dritte Mann lernt mit Kastanien rechnen; als man ihn mit Ziffern konfrontiert, ist es aus mit der Freude am Kalkulieren. Von den Frauen löst die eine ihre Matheaufgaben zusammen mit dem Bruder, die andere hats mit Nachhilfeunterricht versucht, der dritten läuft es ganz ring mit den Zahlen.

Mathematik habe in unserer Gesellschaft keinen sehr hohen Stellenwert mehr, erklärt die Theatergruppe Matterhorn-Produktionen in ihren Vorbemerkungen zu «Die Mannigfalte. Ein algebraisches Varieté» (Regie: Ursina Greuel). Deshalb werde man, so die Gruppe weiter, nun szenische Vorgänge aus Sicht einer mathematischen Logik entwickeln und nichts weniger als die mathematische Logik mithilfe szenischer Vorgänge weiterführen und umdeuten. Das Resultat - zurzeit zu sehen im Schlachthaus-Theater Bern - ist ernüchternd: Mit Formelfetzen und Erinnerungen aus dem Mathematikunterricht versuchen die sechs Protagonisten, sich der anfangs notierten Frage zu nähern. Als Hilfsmittel zur Verfügung stehen ihnen fünf Wandtafeln, welche bald mit Zahlen und Skizzen vollgezeichnet sind. Über weite Strecken wird das spannungslose Potpourri begleitet von Klavierklängen, die sich wie ein dämpfender Teppich über das Ganze legen. Blass und fahrig sind die aneinandergereihten Szenen, die Pointen klischiert und banal, zum Beispiel die unendliche Wiederholung der Zahl 6 oder das Gerede über Potenz und Befriedigung. Weder die Ausgangsfrage noch die Antwortversuche vermögen einen wirklich zu interessieren - Mathematik wird so nicht sympathischer. Spannend wird der Abend einzig, wenn Mathematikprofessoren zu Wort kommen. Erklärt wird via Tonband zum Beispiel, wie ein Kleinkind in die Welt der Zahlen eintaucht. In einer Videosequenz führt uns ein Wissenschaftler in die Euler-Charakteristik ein, als Anschauungsbeispiel nimmt er einen Teller Spaghetti, man könne sich auch Würmer vorstellen. Gerne hört man den professoralen Worten zu. Dann wird der Ton ausgeblendet, und das Theater in der verstaubten Schulstube geht weiter.

Weitere Vorstellungen: 22. und 23. November, jeweils 20.30 Uhr, Schlachthaus-Theater Bern.

Logik ist gut, aber gehört in dieser Form nicht auf die Bühne.