© Basler Zeitung; 05.04.2008; Seite kmgab2

KulturMagazin

kultur

Oper, die stinkt

Eine «Fondue-Oper» in der Gare du Nord

sigfried schibli
Am Ende stinkt es in der Gare du Nord nach verbranntem Käse, die Schweizer brüllen einander an, und der Deutsche kotzt. Ein netter Abend.

Fondue klebt. Am Boden des Caquelons, was man dann Crouton, Kruste oder auch Religieuse nennt. Und Fondue klebt Menschen zusammen. Zum Beispiel Astrid, die als eingewanderte Deutsche eine Schweizer Beiz besucht, mit Urs, der nur ein Bier trinken wollte und dann doch länger bleibt. Und mit der liebesbedürftigen Kellnerin Yvonne («Heiss! Heiss! Heiss!»), die ihren Internet-Freund Ralf aus Darmstadt in der Schweiz empfängt, ihm sportiv auf den Schoss hüpft und ihn so mütterlich-reichlich mit Fondue und Fendant eindeckt, dass der Deutsche am Ende das ist, was wir Schweizer am liebsten in ihm sehen: ein Kotzbrocken. Wenn dann die Jazzsängerin Lesley ihr Alphorn auspackt, einen Song über den Röschtigraben hinlegt und die Fünf ihr Quintett über vier Töne trällern, ist das Gesamtkunstwerk Oper perfekt.

koexistenz. Schon immer hatten die «Matterhorn»-Produktionen von Ursina Greuel diesen Zauber zwischen Schauspiel, Kabarett und Musikperformance. Jetzt ist noch die brennende Dimension der deutsch-schweizerischen Koexistenz hinzugekommen, die fast immer eine friedliche, aber selten eine freundschaftliche ist (Text Guy Krneta, Musik Till Löffler). Zwar spricht der Lehrer Urs, der sich wie ein Wagner-Held mit einem aufsteigenden Quartmotiv («Ich bin Urs!») im Fortissimo vorstellt, ein Ausbund an gesund strotzender helvetischer Gemütlichkeit. Aber dass Astrid ihn über sämtliche Formen von geschmolzenem Käse belehrt, ist ihm dann doch zu viel. Über Käserühren («Eine Acht machen!», schreit Urs Ralf an) und Weissweinkippen findet die Runde zum beizenphilosophischen Diskurs, der im Satz gipfelt, das Problem der Schweizer sei eben, dass sie keine wirklichen Probleme hätten.

kondition. Kein Thema unseres schweizerisch-deutschen Zusammenlebens bleibt unerwähnt an diesem dichten Abend, weder unsere Drei-Küsschen-Kultur noch die deutsche Nazi-Empfindlichkeit noch die Gretchenfrage nach der Betonung französischer Wörter («FÓndue» oder «Fondúe»?). Mutig und in bester Kondition erklimmt das Matterhorn-Team, unterstützt von zwei Pianisten, die Bergspitzen eines auch musikalisch reizvollen Fondue-Abends, und nur der Deutsche stürzt ab.