Südostschweiz; 28.11.2015;
Seite 22 Ausgabe Graubünden Kultur Region

Ich spiele mit der Sprache, also bin ich

Im Theater Chur ist am Donnerstag mit «Kurz vor der Erlösung» die Weihnachtsgeschichte auf eine sehr ¬ungewöhnliche Art erzählt worden. Eine Uraufführung fernab der Sprachlosigkeit.

von Sebastian Kirsch

In der Schweizer Literatur¬szene ist der junge Berner Autor Michael Fehr längst kein Unbekannter mehr. Das mag unter anderem daran liegen, dass er im wahrsten Sinne des Wortes eine treibende Kraft ist. Worte und Wörter, Begriffe und Bedeutungen interessieren ihn genauso wie Dialekte, Randbemerkungen, Geschichtchen und Geschichte. Aber auch ausserhalb der Landesgrenzen ist die Szene auf ihn aufmerksam geworden. So erhielt er an den diesjährigen Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Tagen den zweiten Preis für sein Werk ¬«Simeliberg».

Mit seinem Erstlingswerk «Kurz vor der Erlösung» mutet er seinen Lesern einiges zu. Statt die Handlung voranzutreiben, versucht Fehr, die richtigen Worte für das zu finden, was er gerade beschreiben möchte. Dabei wird das Adverb «also» zum repetitiven, also wiederholten Taktgeber. Nur wer den dahinterliegenden Sprachrhythmus entdeckt, versteht die treibende Kraft seiner Texte, die Klanggebilde der Worte sowie die hohe Kunst seiner Sprachspiele.

Nun hat es das Sprechoratorium «Kurz vor der Erlösung» auf die Bühne geschafft. Die Regisseurin Ursina Greuel hat sich mit dem Ensemble Matterhorn Produktionen (in Koproduktion mit dem Theater Chur und weiteren Theatern) diesem Werk angenommen. Das Resultat ist eine sprachakrobatische Leistung sondergleichen, die sich deutlich von der gefühlten Sprachlosigkeit vieler anderer Theaterproduktionen unterscheidet. Statt pompöser Bühnenbilder werden hier Sprachgebilde aufgebaut, die es den Zuschauern ermöglicht, in diese Welt der Wörter und Worte einzu¬tauchen. Damit wird der Blick frei für die Handlung, den Inhalt, also das, was uns der Autor eigentlich sagen will. Eines sei hier verraten. Auch am Schluss stehen wir «Kurz vor der Er¬lösung».

Reduziert, aber treffend

In der Bühnenfassung zeigen sich die Schauspielerinnen Fabienne Hadorn und Franziska von Fischer sowie die Schauspieler Krishan Krone, Markus Mathis und Michael Wolf als eigentliche Übersetzerinnen und Übersetzer des Inhalts. Neben der hochstehenden sprachlichen Leistung verleihen sie den Charakteren in den einzelnen Geschichten Gestalt. Äusserst reduziert, aber treffend. So sprach¬artistisch, wie die Schauspieler agieren, setzt Gustavo Nunez seine ¬Glocken und Trommelstöcke ein, um die Sprachwirbel noch zu beschleunigen oder ihnen etwas entgegen zu schmettern.

Ein Tisch, drei Stühle, eine alte Flugzeugtreppe und ein paar Scheinwerfer reichen aus, um die verschiedenen Geschichten rund um die Weihnachtsgeschichte zu verorten. Das Bühnenbild steht somit in starkem, also harten Kontrast zum dichten, ¬verspielten, musikalischen und teilweise gesungenen Text. Das deutsche Sprechtheater ist um ein starkes Stück reicher.

«Kurz vor der Erlösung». Weitere Aufführung im Rahmen von «Welt in Chur»: heute Samstag, 28. November, 20 Uhr, Theater Chur.