Basler Zeitung; 28.11.2015; Seite bazab30
Kultur

Halleluja mit Misstönen

Ursina Greuels «Kurz vor der Erlösung»

Von Tobias Gerosa, Chur

Gibt es die Erlösung und, wenn ja, wovon überhaupt? Michael Fehr hat darüber 2013 seinen Erstling «Kurz vor der Erlösung» geschrieben. Einen Text in 17 musikalisch gedachten Sätzen, interpunktionsfrei, rhythmisiert wie gesprochen, je eine Szene beschreibend und in ihrer Sprachspielerei mit ganz eigenem Ton.

Die Basler Regisseurin Ursina Greuel bringt das mit ihren Matterhorn-Produktionen als konzentriertes, mit Ironie spielendes «Sprech¬oratorium zu Weihnachten» auf die koproduzierende Bühne am Theater Chur. Gastspiele in der Region Basel folgen vom 9. bis 13. Dezember in der Gare du Nord und im Mai im Neuen Theater Dornach.

Auf der kargen Bühne kommt Bettina Ginsberg mit Tisch und Stuhl aus.Nur die alte Flugzeugtreppe – hier als Jagdhochsitz, Kanzel, Showtreppe und Schlagzeug verwendet – ist etwas grösser. Im Zentrum stehen der Text und das sechsköpfige Ensemble, das ihn als musikalische Erzählgrundlage nutzt. Virtuos und herausragend genau.

Zigeuner, also Maria und Josef Der 70-minütige Abend beginnt und endet monologisch. Nur dass der Bauer (verschmitzt-knorrig: Krishan Krone) hier selber auftritt und Fremde, also Zigeuner, also Maria und Josef, in seinem Stall findet. Genauso wie der Pastor der Kathedrale (Michael Wolf), der am Schluss wohl auch melodieren und modulieren, ins Halleluja, also ins Alleluja einstimmen möchte, aber die Tonika, also die Grundtonart nicht ¬findet. Unterscheidet ihn das von den Figuren der anderen Sätze, von Fabienne Hadorns Soldat, der so intensiv zwischen Spiel und Erzählen hin- und herspringt? Oder dem verschrobenen Männerchor (zu den anderen: Markus Mathis)?

Die Sätze beginnen alle mit «Zur selben Zeit», in allen hören die Figuren die Glocken der Kathedrale, und alle enden mit einem eben melodierten und modulierten Halleluja als Choral, Schubidubi-Nummer oder Zäuerli.

Wo der Text strikt jeden Satz mit einer Stimme von aussen erzählt, lockert Greuel die szenische Doppelung streckenweise in Dialoge auf. Das stilprägende «Also», das bei Fehr Mundartausdrücke mit ihrer standarddeutschen Übersetzung, lautlich ähnliche oder inhaltlich ergänzende Ausdrücke assoziativ und witzig koppelt, bietet dann das Signal für einen Sprecherwechsel. Mehr als ums Was geht es ums Wie. Gibt es Erlösung? In Greuels ¬Theaterfassung nicht. Während in den vorhergehenden Szenen immerhin ein gerades «Halleluja!» gelingt, singen die vereinten Figuren am Schluss kreuzfalsch. Hier ist die Theaterfassung eindeutiger. Während in Fehrs Textvorlage nicht klar wird, ob und wie das Melodieren und Modulieren gelingt, ist hier die Erlösung, also die musikalische ¬Auflösung verloren.

Vorstellungen in Basel: Gare du Nord, 9., 10., 12., 13. Dezember.