© Der Bund; 20.01.2006; Seite 15
Kultur
Der Bund

Alfred Wälchlis Partitur

SCHLACHTHAUS-THEATER · Ein Film läuft. Der Vorspann stellt Produktionsfirma (Matterhorn Productions) und Regisseurin (Ursina Greuel) vor. Die Kamera hält eine Passfahrt bei regnerischem Wetter fest, gefilmt durch die Windschutzscheibe. Noch passiert eigentlich nichts, und doch schaut man dieser tonlosen Bergfahrt gebannt zu. Dann spuckt eine Öffnung in der Leinwand sieben Figuren aus. Sie formieren sich zu einem Tableau vivante und erinnern mit ausgefallenen Frisuren, Kostümen unterschiedlicher Epochen und maskenhaft-komischem Gesichtsausdruck an die Adams Family. Punkto Skurrilität stehen die sieben der geisterhaften Filmfamilie in nichts nach. Etwas anders ist die Gewichtung der Wirrungen, geht es doch weniger um familiäre denn um amouröse Verwicklungen. Im Hotel «Zum grossen Hunger und Durst» soll nämlich eine Königshochzeit stattfinden. Das Brautpaar allerdings gibt es noch gar nicht . . .
Wort- und Geräuschpartitur
«Die Versuchung, die Romanza der Eluvies von Alfred Wälchli zu spielen» - so lautet der Titel der dritten Matterhorn-Produktion, die zurzeit im Schlachthaus Theater zu sehen ist. Der tonlose (Film-)Einstieg besticht, die lautlichen Äusserungen der sieben Figuren faszinieren. Denn Alfred Wälchli (1922-2004), Dichter und Komponist aus Zofingen, kombiniert in seinen Texten Dialektales mit Hochsprachlichem und ordnet seine Worterfindungen mal nach antikem, mal nach neuzeitlichem Satzmuster an. Die so entstandene Wort- und Geräuschpartitur ist dem Matterhorn-Team auf den Leib respektive auf die Lippen geschrieben. Vom schrillen Jodeln über ein zickiges Zischen bis zum verträumt-verliebten Gurren werden alle lautlichen Register gezogen. Ein optischer Leckerbissen ist das witzige Oszillieren zwischen dem im Hintergrund laufenden Film und dem Geschehen auf der Bühne.
Trotz variablem Sprach-, Klang- und Geräuscheinsatz schleicht sich auf akustischer Ebene mit der Zeit eine dämpfende Gleichförmigkeit ein. Die Silhouette des Gesagten ist immer erkennbar, es fehlt jedoch an verständlicher Tiefe. Dass der Abend dennoch nicht dadaistische Lautmalerei bleibt und eine «richtige Geschichte» vermittelt, ist den differenzierten Sprechmelodien und der herrlichen Mimik und Gestik der Darstellenden zu verdanken. Es wird geschmollt, getrotzt, gelacht und reihum geküsst - bis der König seine Königin gefunden hat. (ler)

[i] Weitere Vorstellungen am 20./21. Januar um 20.30 Uhr und am 22. Januar um 17 Uhr im Schlachthaus-Theater Bern. Reservation: 031 312 60 60