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Verspricht ein Abendessen unter Freunden automatisch gemütliche Stunden in netter Gesellschaft mit guten Essen und noch besseren Gesprächen?
Matterhorn Produktionen zeigen mit der Inszenierung von Beat Sterchis preisgekröntem Stück "Nach Addis Abeba", dass das verkrampfte, unbekömmliche und floskelhafte Gegenteil der Fall sein kann - und ein Ohrenschmaus für Sprach- und Klangfeinschmecker.

Von Sabrina Glanzmann.

Jemanden "Wie geht es dir?" zu fragen, ohne es auch tatsächlich wissen zu wollen, das dürfte jedem schon einmal passiert sein. Wenn sich solche Pro Forma - Fragen häufen und zusammen mit inhaltsleeren Bemerkungen zu Small Talk gipfeln, dann hört Beat Sterchi genauer hin. Der Berner Autor interessiert sich in seinem Stück "Nach Addis Abeba" für eben diese alltägliche Art von Sprache und stellt damit wie bereits 2001 bei "Das Matterhorn ist schön" Sprachmaterial zur Verfügung, das realistisch sein will. "Theater ist oft wahnsinnig eloquent. Die Figuren könne sich alle so gut ausdrücken, was in Wirklichkeit gar nicht stimmt", so Sterchi, der seit Jahren einen eigenen Umgang mit Sprache auf und für die Bühne pflegt und auf übliche dramaturgische Konzepte verzichtet; eine eigentliche Handlung, ein Konflikt oder eine Psychologisierung der Figuren finden bei ihm nicht oder nur bedingt statt. Dieser Herausforderung hat sich die Regisseurin und Matterhorn Produktionen-Gründerin Ursina Greuel (siehe Info) angenommen. Ihr Mise en place lässt vier weibliche und drei männliche Schauspieler (Sibylle Burkart, Franziska von Fischer, Sabrina Frey, Agnes Lampkin, Krishan Krone, Markus Mathis, Michael Wolf) dieses "Bühnenabendessen in fünf Gängen", so der Untertitel, zubereiten. Eines sei gleich vorweggenommen: Sie sind allesamt ausgezeichnete Köche.
Rhythmus und Klang als Inhalt
Die zu Beginn noch leicht gequälten und zaghaften "Hallo" - Rufe der nacheinander eintreffenden Gäste kippen nach der Formation zu einem kleinen Chor in einen wunderbaren Gesang - Christoph Marthaler hätte zweifellos seine wahre Freude daran. Sätze wie "Wer ist da? Ist wer da? Ist da wer? Da ist wer. Wer ist da?" zeigen die sprachliche Richtung, in die Sterchis Text und somit auch die Inszenierung gehen: Das Spiel mit und durch Sprache ist der rote Faden, der durch den Abend leitet. Nach der Gastgeber-Floskel "Schön, dass ihr da seid" beginnt ein Durcheinander an Austausch von Nettigkeiten. Man hat Blumen oder Pralinen mitgebracht, obwohl das "doch nicht nötig gewesen wäre". Constanze ist noch nicht da; sie wird sehnlichst erwartet, weil sie in Addis Abeba war, wo alle anderen auch schon lange hin möchten.
Diese Eingangsszene wird gefolgt vom ersten von vielen eindrücklichen Auftritten der Berner Perkussionistin Margrit Rieben. Sorgfältig streicht sie afrikanisch anmutende Rhythmen auf das überdimensionalen Sofa; es macht nebst einem phantasievollen Kronleuchter aus Gläsern, Besteck, Pfannendeckeln und PET-Flaschen das schlichte Bühnenbild (Ausstattung: Catharina Strebel) aus. Rieben unterstreicht das Gesprochene mit unterschiedlichsten Klangerzeugnissen während der ganzen Aufführung sehr virtuos und konzentriert. Wird zum Beispiel die neue Spülmaschine mit Besteckschublade gepriesen, lässt sie sinnigerweise das Besteck am Kronleuchter erklingen; Klang und Rhythmus füllen die inhaltlich geringe Aussagekraft der Sätze auf. Unterstützt wird Rieben dabei immer wieder von einer stimmigen Lichtführung (Licht: Jens Seiler), die weiche Kontraste zu schaffen vermag.
Reden über die Welt und Gott
Während sich die Runde also krampfhaft vom Salon ins Esszimmer und vom Krabbensalat zum Kartoffelgratin begibt, wird sehr viel geredet, ohne dass damit viel gesagt werden würde. Dabei ist das Sofa mal Tisch, mal Balkon, mal Flur und dient so als wichtigster Tummelplatz für die geschwätzige Runde. Es werden Monologe gehalten, die durch Mittel der Wiederholung und der Verkürzung zu rhythmischen Textgeflechten werden und so eine mögliche sprachliche Interaktion noch mehr erschweren. Man redet, also ist man, das reicht.
Nach den Blabla-Sätzen über die eigene kleine Welt werden schliesslich solche über Gott und den Papst ausgelöst und der bis dahin belanglose Ton wird jetzt endlich doch noch lauter und echauffierter, was zeigt: Etwas zu sagen gäbe es doch. Kleine menschliche Abgründe tun sich auf, die aber leider bei Greuels Inszenierung trotz gegenseitigem Verteilen von ein paar verbalen "Arschlöchern" weiterhin unbekömmlich unter der Oberfläche bleiben müssen.
Die Schlussszene zeigt aber, dass ein tieferes Schürfen nicht nötig ist, im Gegenteil: Das bis zum Ende harmonierende und gänzlich überzeugende Ensemble beschliesst mit einem Stück Quarktorte im Bauch, man müsse sich möglichst bald in der Traumdestination Addis Abeba wieder sehen. Bloss eine weitere Small Talk - Abschiedsfloskel, die der geschwätzigen Runde die Zeit bis zum nächsten geschwätzigen Abendessen überbrücken soll - und dem begeisterten Publikum das hoffentlich kurze Warten auf die nächste Matterhorn - Produktion.