Marina Bolzli, Berner Zeitung (15.01.07)
Sie reden – und sagen nichts
Erschreckend, wie wenig man sich zu sagen hat. Das wird nach Beat Sterchis Stück «Nach Adis Abeba» im Schlachthaus klar.«Schön, dass ihr da seid.» Sagt die Gastgeberin immer dann, wenn es nichts mehr zu sagen gibt. Und das geschieht oft. Ist jedem schon passiert. Ein paar alte Freunde, man trifft sich zu einer Abendgesellschaft, kennt sich gut oder hat sich mal gut gekannt. Jetzt sind es nur noch Höflichkeiten, die man austauscht, leicht variierbare Floskeln, die man auf Kommando ausspuckt. Von diesen handelt Beat Sterchis preisgekrönter Text «Nach Adis Abeba». Am Samstag wurde er von den Matterhorn Produktionen im Schlachthaus Theater Bern uraufgeführt.
Chor aus «Hallo»-Rufen
Eins vorneweg: Der Regisseurin Ursina Greuel ist die Adaption gelungen. Sie führt die Situationen sachte und mit geringstem Aufwand ins Absurde. Singend, mit einem Chor aus «Hallo»-Rufen, begrüsst sich die Abendgesellschaft, sieben Männer und Frauen, die zwar in Paaren auftreten, im Verlauf des Stücks aber austauschbar sein werden. Das ist nicht sonderlich schwer zu verstehen, zeichnet sich doch niemand durch besondere Eigenschaften aus.
Vielleicht am ehesten noch Konstanze, weil sie in Adis Abeba war, wo die anderen nicht waren, aber auch hin wollen. Ansonsten bewundern alle die schöne Wohnung, die schönen Möbel, beklagen den Regen, müssen aufs Klo und haben sich nichts zu sagen. Das geht fünf Gänge so, während des ganzen Abendessens. Nur der Ton wird zunehmend aggressiver: Freundlicher Small-Talk beim Apéro – «Du bist überhaupt nicht älter geworden. Du bist auch nicht älter geworden. Ich bin älter geworden» – artet beim Kartoffelgratin zu einem lauten Streit über Gott aus. Aber sogar der wird in Monologen geführt.
Überdimensionales Sofa
Monologe, die in ihren rhythmischen Wiederholungen dadaistisch anmuten. Der Rhythmus wird noch unterstrichen durch die musikalischen Einlagen, die das Stück gekonnt unterbrechen. Da trommelt Musikerin Margrit Rieben mit Stöcken auf dem überdimensionalen Sofa rum, hier macht sie aus Weinkelchen ein Glockenspiel.
Zugleich ist dieses Glockenspiel ein riesiger Kronleuchter, aus Geschirr und Besteck gebaut. Er bildet neben dem erwähnten überdimensionalen Sofa die einzige Bühnenausstattung. Ein kluger Entscheid. Denn die karge Ausstattung lässt sich durch die Lichtführung gekonnt verwandeln. So lenkt keine pompöse Ausstattung von der wahren Aussage ab: Nämlich dieser, dass man sich nichts zu sagen hat. Oder dass man das, was man sich wirklich sagen möchte, für sich behält. So ist man am Schluss sehr froh, gehen zu können. Nicht ohne betont zu haben, wie schön er gewesen sei, der Abend. Und das war er tatsächlich.