Der Bund, DANIEL DI FALCO [15.01.07]
Unter Wortwechslern:«Nach Addis Abeba»: Beat Sterchis neues Stück im Berner Schlachthaus-Theater
Ursina Greuel hat das neue Stück von Beat Sterchi angerichtet. «Nach Addis Abeba» ist ein Sprachkonzert aus der Tonspur eines Abendessens. So volkstümlich wie abstrakt, so komisch wie perfekt. Etwas zu perfekt vielleicht.
Addis Abeba ist die Hauptstadt Äthiopiens; ein Kriegsgebiet. Aber das spielt hier keine Rolle. Beat Sterchis Stück ist eine Fahrt ins Wörterland. «Addis Abeba»: Das lässt sich so oft laut aussprechen, bis es «Adidas Beba» heisst. «Sofa» kann man so lang durchs Mundwerk ziehen, bis es allen Sinn verliert und bloss noch reiner Laut ist, soopha. Und «Krabbensalat», «Kartoffelgratin», «Quarktorte»: bis man Krähen krächzen hört und Kröten knarren.
Die Sprache – hier ist sie Thema, Material, Handlung und Hauptfigur zugleich. «Nach Addis Abeba» ist Sprech- als Sprachtheater, konkrete Posie für die Bühne, eine «Sprachausstellung», wie es Sterchi selber treffend nennt. Sieben Zeitgenossen, die sich zum Essen treffen, legt er die Rudimente gesprochenen Alltags in den Mund, den Small Talk einer Abendrunde. Man begrüsst sich, dankt den Gastgebern, gibt Geschenke ab, lobt die Vase im Wohnzimmer, kritisiert das Wetter und den Papst. «Hörst du? – Deine CD. – Meine CD. – Er hört deine CD. – Sibelius. – Sibelius? – Sibelius. – Das ist Sibelius? – Ja, das ist Sibelius.»
Das sind Wörter, die in ihrem Gebrauch unverbindlich werden und nichts Rechtes mehr bedeuten. Sprache zeigt sich hier als sozialer Kitt, als Währung für den Wortwechsel, den Austausch von Zwischenmenschlichkeiten. Dass das realistischer ist, als man meinen könnte, wird man merken, wenn man nach anderthalb Stunden wieder auf die Strasse tritt und die Ohren offen hält: Da sind sie wieder, all diese leeren Wendungen und sinnlosen Wiederholungen.
Eine Tinguely-Maschine
«Die Leute sprechen tatsächlich so», sagt Beat Sterchi («Bund» vom 11. Januar), «sie sind nicht so eloquent wie im Theater.» Das erklärt auch, warum es dieses Stück nicht so sehr darauf abgesehen hat, das Gerede einer bourgeoisen Abendgesellschaft in seiner Hohlheit zu entlarven. Dass wir viel sagen, ohne viel zu sagen, und dass die feine Lebensart zur inneren Leere neigt – das wäre billig zu kritisieren, zumal wir es schon wissen; gerade aus dem Theater. Hier geht es um etwas anderes: um die Musik, die die Leute machen, wenn sie reden. Ursina Greuel bringt «Nach Addis Abeba» mit ihrer Gruppe Matterhorn auf die Bühne, und sie orchestriert die Runde mit sehr viel Rhythmus und Bedacht für jene Komik, die sich aus den Variationen, Verschiebungen und Verkürzungen ergibt: «Ich mag Quarktorte. – Du kannst keine Quarktorte. – Ich darf keine Quarktorte. – Sie verträgt Quarktorte schlecht. – Sonst mag ich Quark auch nicht. – Darfst du keine Quarktorte? – Schade, ist Quark in der Torte.» Und einmal sagt dann einer wirklich: «Es tut mir leid, ich wiederhole mich.»
Die Komposition beginnt mit einem Choral aus lauter «Hallo» an der Haustür, und es bräuchte einen Experten, um die fast schon unheimliche Genauigkeit zu würdigen, mit der sich die sieben Schauspieler – Sibylle Burkart, Franziska von Fischer, Sabina Frey, Krishan Krone, Agnes Lampkin, Markus Mathis und Michael Wolf – zum Sprachkonzert zusammenfinden, zu einer Collage von dadaistischer Qualität. Dort hat einer einen Kratzer auf der Platte und fällt in eine Endlosschlaufe, da streut einer seine Sätze klingelnd in den Raum, und hier ist die ganze Runde auf dem monströs grossen Sofa aufgereiht (Ausstattung: Catharina Strebel) und schüttelt sich in einem volierenhaften Schnattern, bevor sie in ein Loch aus Schweigen stürzt, aus dem sie die Musikerin Margrit Rieben mit ihrer Perkussion aus Silberbesteck und Gläsern holt. «Nach Addis Abeba» ist eine Tinguely-Maschine der Alltagssprache, und der Programmzettel hat schon Recht, wenn er behauptet, dass das Stück «nie im formalen Experiment stecken bleibt»: Hier kommt die Abstraktion mit einem Witz und einer Leichtfüssigkeit daher, die man so kaum erwartet hätte.
«Ich bin ein Arschloch»
Sterchi und Greuel sind nicht die Einzigen, die Sprache auf der Bühne als rhythmisches Material verwenden. Vielleicht aber die Einzigen, die diesen Zugriff so unterhaltsam, ja volkstümlich beherrschen. Wenn man dem Stück etwas vorzuwerfen hätte, dann höchstens, dass es gerade deswegen ungefährlich bleibt. Das «Bühnenabendessen in fünf Gängen» (so der Untertitel) bewegt sich in jenen Mustern, die es bald zu erkennen gibt. Es wahrt ein homöopathisches Mass an Modernität, und dass dann beim Dessert die gepflegte Oberflächlichkeit der Tischgesellschaft doch noch zerspringt wie eine brüchig gewordene Kruste über tiefen Feindseligkeiten – das ist auch keine Überraschung. Immerhin: Auch das ist Teil des Konzerts. «Natürlich bist du ein Arschloch. – Ich bin auch ein Arschloch. – Ich bin ein Arschloch. – Ich bin auch ein Arschloch. – Du bist kein Arschloch. – Ich bin das Arschloch. – Ich bin ein Arschloch. – Ich kenne doch das Arschloch. – Natürlich ist er ein Arschloch.»
Trotzdem: Es war ein schöner Abend. «Es war ein schöner Abend.» Im Korridor neben der Schlachthaus-Bühne löst sich die Gesellschaft auf, Mantel und Schirm, auf Wiedersehen. Die letzten Phrasen und Floskeln klingen herein wie ein abziehendes Gewitter; draussen löst sich das Wortwechselwetter auf. Drinnen braust der Beifall auf. In Orkanstärke.
Der Bund, DANIEL DI FALCO [15.01.07]