© Aargauer Zeitung / MLZ; 15.01.2007
Kultur Zeitung
Schwindel erregender Party-Tratsch
Schlachthaus-theater bern Regisseurin Ursina Greuel bringt mit ihrer virtuosen Inszenierung Beat Sterchis Sprachpartitur «Nach Addis Abeba» zum Klingen.
roland erne
Es ist nun mal so: Auch nur halbwegs angeregter Smalltalk im handverlesenen Kreis lässt viel Gerede aufkommen. Was der Alltag immer wieder bestätigt, hat den Berner Dramatiker Beat Sterchi zur Sprachpartitur «Nach Addis Abeba» ermuntert, die wie schon sein Stück «Das Matterhorn ist schön» (2001) einem Abstecher in den hiesigen Sprechalltag gleichkommt.
Hier wie dort arrangiert er der Wirklichkeit abgehorchtes Wortmaterial, das dann hintersinnig verspielt verdichtet wird. Der 1949 geborene Gotthelf-Kenner setzt auf die Komik, repetiert und rhythmisiert Floskeln, die es auf parallel geführten Schienen zu verfolgen gilt.
In der 2003 mit dem Welti-Preis für das Drama ausgezeichneten Collage «Nach Addis Abeba» kommt eine ziemlich vertraut anmutende Party-Gesellschaft nicht umhin, verbal allerhand loszuwerden, nur damit etwas gesagt ist. Ein Wort gibt das andere, ganze und nicht selten halbe Sätze reihen sich zu veritablen Satzketten, die deswegen noch lange nicht (mehr) Sinn ergeben. Das Redenmüssen erhärtet den Zwang zum Durcheinandersprechen - inklusive eigentlicher Endlosschlaufen.
ERSCHLAGEND GROTESK ist in Ursina Greuels wohl nur schwer zu übertreffender Inszenierung bereits die Eingangsszene: «Hallo», hauchen, flöten und rufen ein paar originelle Zeitgenossen mal allein, dann im Chor, um sich nach den gemeinhin üblichen Begrüssungsritualen der überindividuellen Befindlichkeit zu versichern: «Mir geht es gut.» Das ist womöglich geschummelt, aber komplett unwichtig. Hauptsache ist: Vier Frauen (Sibylle Burkart, Franziska von Fischer, Sabina Frey, Agnes Lampkin) und drei Männer (Krishan Krone, Markus Mathis, Michael Wolf) halten sich für ein «Bühnenabendessen in fünf Gängen» bei Laune, indem sie wortreich Schwindel erregende Spitzkehren meistern.
Notorisches Handy-Einerlei flankiert Gesprächsfetzen, die sich in weitgehend unverbindlichem Geschwätz erschöpfen. Was will da nicht alles beredet sein: Leicht einmal echauffierende Mitbringsel, eine euphorisierende Möblierung, kulinarische Feinheiten und dergleichen mehr drängen an die Oberfläche. Kein Wunder, geht zwischen klangvollen (Wunsch-)Destinationen wie Addis Abeba und Domodossola bisweilen die Orientierung verloren und reihen sich Einsichten in beinahe schon dadaistischer Manier.
Doch selbst wenn Schlangen und Spinnen, Gott und Papst einiges abzusondern geben und zunächst Abwesende abenteuerliche Vermutungen nähren, bleiben wenigstens der Appetit auf Krabbensalat und Quarktorte wie auch der frohgemut verbreitete Enthusiasmus einigermassen intakt. Warum also nicht ein Wiedersehen nach Addis Abeba in Erwägung ziehen?
Sterchis Text ist eigentlich ein Hörspiel. Diese Vorlage nun bühnenwirksam aufzubereiten, ist keine Kleinigkeit. Der mit ihrer freien Gruppe «Matterhorn Produktionen» in Basel beheimateten Regisseurin Ursina Greuel ist das Kunststück einer stupend leichthändigen, aber nie leichtfertigen Umsetzung gelungen. Ihre als breit abgestützte Koproduktion entstandene Inszenierung ist denn auch wie aus einem Guss. Unübersehbares und buchstäblich unumgängliches Requisit auf der sonst bei Bedarf nur mit Vorhängen drapierten Bühne ist ein imposantes Sofa, das die agilen Mitwirkenden nicht nur mit wortfertiger Wendigkeit in Beschlag nehmen.
Dafür sorgt unter Greuels präziser und ohne aufgesetzte Effekte auskommender Regie zum einen ihr potentes Ensemble, das mit Marthalerscher Inbrunst auch zu singen versteht. Immerhin haben Sterchis haarsträubend bieder gewandete Figuren (Ausstattung: Catharina Strebel) Sibelius im Ohr. Zum andern ist es die erprobte Berner Perkussionistin Margrit Rieben, die das (Hör-)Stück klangreich begleitet, indem sie unter anderem einen mächtigen Kronleuchter voller PET-Flaschen, Löffel und Pfannendeckel bespielt. Mehr ist aus Sterchis Bühnentext kaum herauszuholen.