© Solothurner Zeitung / MLZ; 12.01.2004; Seite 1
Kultur
Bierselige Verbrüderung und Laut gebendes Getier
RHAPSODIE · «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken» von Guy Krneta im Schlachthaus Bern

«Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken», nennt Guy Krneta sein jüngstes Stück. Die Uraufführung im Schlachthaus Theater Bern lässt uns mit der grotesk-scharfzüngigen Farce einen Blick in die brodelnde helvetische Volksseele werfen.
Von Eva Buhrfeind
Es ist so, wie es nun mal ist: Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken. Aber das Leben ist auch zu kurz, um zu viel abgestandenes Bier zu picheln und sich in Stammtischparolen zu verlieren, denn einer verliert immer. Zum Beispiel Geri, der auf den Bierrechnungen sitzen bleibt, während sich Louis verflüchtigt.
Eine Rhapsodie nennt der heute in Basel lebende Berner Autor Guy Krneta sein mit dem Welti-Preis für das Drama 2003 bedachtes Stück - eine freie Komposition also, die anstatt Volksmelodien die Persiflierung einer realen Begebenheit vorträgt, die so nie stattgefunden hat, aber oft genug stattfindet: die Konfrontation zweier kleiner Welten, deren Grenzen sich zwischen Hopfen und Malz verlieren.
Doppelbödiges Spiel
Und so heisst es in dieser am Wochenende in Bern zur Uraufführung gekommenen Produktion von Krneta und der Regisseurin Ursina Greuel Ring frei für ein doppelbödiges Spiel der beiden Protagonisten Thomas U. Hostettler als Louis und Herwig Ursin als Geri: Zwei Karikaturen einer piefigen Volksmentalität, augenzwinkernd überzeichnet auf einer minimalisierten Bühne (Catharina Strebel), deren Nüchternheit in krassem Gegensatz zum zunehmenden Alkoholpegel steht - ein Tisch, zwei Stühle, die Andeutung einer Bar, auf der die vielen Biere aufgereiht warten, ein paar Holzstämme, über die es zu stolpern gilt. Dem Louis, SVP-Gemeinderat, wurde das Portemonnaie gestohlen. Ungeniert lädt er sich bei Geri, dem SP-Ex-Nationalrat («man kennt mich vom Fernsehen»), auf ein Bier ein, und auf noch eins, und noch eins, und noch eins...
Bald schon eröffnen sie sich denn auch Seele und Gemüt, wobei die beiden Akteure à la Loriot - verbal, gestisch und mimisch - haarscharf mit «bodenständiger» Mundart am grotesken Bauerntheater vorbeisegeln. Ungehobelt krakeelend, pseudomoralisch der Louis, pseudo-offen und möchtegern-grosszügig der Geri, der doch immer wieder auf die Fifty-fifty-Beteiligung des anderen pocht. Bald schon verselbstständigen sich die Floskeln und Farcen, suhlen sie sich mit treffsicheren Peinlichkeiten im Kummer der schwierigen Wirtschaftslage, der wankenden politischen Haltungen.
Louis, der damals noch während seiner Berner Berufsschulzeit vom Fleck weg eine Ostdeutsche aus Dresden heiratete, die ihm 1989 dann weggestorben ist, klaubt heimlich Geris grosszügiges Trinkgeld vom Tisch; jenem Ex-Pöstler mit der Ex-Politkarriere aus Zug, der in einem Berner Hotelzimmer Beratungen macht. Zwei ungleiche Kämpen, die sich zwischen Show- und Sturztrinken in wechselnden Lokalitäten in ihren Sentimentalitäten, Vorurteilen und Ängsten, der Einsamkeit, bröckelnden Männlichkeit und Polemik näher zu kommen scheinen.
«Wer bist du? Wer bin ich?» Lamentieren Krnetas Protagonisten zwischen Show- und Sturztrinken. zvg
«Wir sind alle SP gewesen von Haus aus, und nun machen sie in Morgarten die Post zu», lamentiert der Pöstler Geri. «Du bist in der falschen Partei», weiss hingegen Louis und will ein paar Alkoholprozent später 1989 rückgängig machen, bei Koblenz alles dichtmachen für all die Ausländer. Er weiss Bescheid, mit seiner Drogerie in Hindelbank, gleich neben dem Frauengefängnis. Zwiespältig träumt er von der Insel Schweiz und einer Insel mit willigen, dunkelhäutigen Frauen.
Geri will ihn indes für die Nacht in sein Hotelzimmer einladen. Doch je mehr Bier fliesst, umso mehr hebt sich die Wirklichkeit auf: Kühe muhen, Schweine grunzen, Stimmen ertönen, allerlei purzelt von der Decke, kitzelt ihre Irritation. Bis irgendwann, inzwischen sind sie in einer Rotlicht-Spelunke gelandet, Geri die philosophische Grundsatzfrage stellt: «Wer bist du? Wer bin ich?», ehe zwischen Pinkel-Pause und herabplumpsenden Rüebli dann mit Franz (Markus Mathis) auch noch ein entlassener Tierpfleger vom Bärengraben erscheint, wild quäkender Macho mit Fuchsschwanz am Gürtel - ein irrlichternder Gag in dieser bierseligen Verbrüderung. Aber da sind Hopfen und Malz längst verloren, ihre Realität ist böses Spiel mit jenen Absurditäten, die das Leben erst wahrhaft zynisch machen.