© NZZ am Sonntag; 15.02.2004; Nummer 7; Seite 59
Kultur
«In Morgarte mache si d Filiale zue»

Der Berner Guy Krneta schreibt für die Bühne - in Mundart, aber nicht volkstümlich.
Immer wieder kommt einer hinzu. Die Ahnengalerie im Berner Café Littéraire wächst ständig. Schmunzelnd weiss Guy Krneta zu manchem Gesicht eine Geschichte zu erzählen. Sein eigenes Foto hängt noch nicht da, obwohl er aus Bern kommt und mit seinen feinfühligen, witzigen und sprachgewandten Stücken in der sonst nicht eben blühenden Schweizer Dramatikszene einen Ehrenplatz verdient.Denn Krneta gehört zu den wenigen Schweizer Autoren, die sich erfolgreich an die mit Vorurteilen beladene Mundart heranwagen. In einem Balanceakt zwischen Alltags- und Kunstsprache eröffnen seine Texte neue Dimensionen für das Schweizerdeutsche auf der Bühne. Jenseits von Schwank, Liebhabertheater und Volksstück operiert Krneta mit einer quirligen Sprache, die verwirrt, besticht und amüsiert: «Sächs-sibehunderttuusig Umsatz / im Jahr (. . .) / das muesch schaffe, Geri / z Hindubank / näbem Frouegfängnis / mit Nagulagg u Watteschtääbli / da blybt dr nüüt / verschteihsch / nid ds Gringschte»Sein neustes, 2003 noch vor der Uraufführung mit dem Welti-Dramenpreis ausgezeichnetes Stück «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken» schildert die dank achtzehn Stangen Bier erleichterte Annäherung zwischen einem SVP-Gemeinderat aus Hindelbank und einem abgewählten SP-Nationalrat aus Zug. Ersterer versinkt nach einem unvermittelten Plädoyer für die totale Schliessung der Grenzen in erschöpfte Wehmut: «Für aui / öb Schwede / oder Tamil Tigers / mira o Usslandschwyzzer / was bruuche mr die / hie cho profitiere / u dusse schlächt über is schnure.» Kurz darauf bricht der philosophierende Sozi beim Gedanken an den Generalstreik in Tränen aus: «Mir sind alli SP gsi / vo Huus uus / my Vatter / my Grossvatter / über Generazione / jetz vrchaufe si uf dr Poscht / Schoggischtängeli / und in Morgarte mache si d Filiale zue.»Die von Ursina Greuel im Schlachthaus Theater Bern brillant inszenierte Uraufführung wird nächste Woche in Zürich zu sehen sein. Krnetas Stück verwebt gescheiterte individuelle Lebensentwürfe mit dem Verlust nationaler Werte und Mythen. Das Gespräch wechselt vom Tod einer Frau fliessend zur Privatisierungswelle in der Wirtschaft, die Sorge um den Berner Bärengraben vermischt sich mit der Wut über einen verpassten Zug und der Erinnerung an den Militärdienst in Thun.Mit seiner langjährigen Theatererfahrung als Dramaturg in Esslingen und Braunschweig sowie als Co-Leiter des Aarauer Theaters Tuchlaube und des Berner Theaterfestivals «auawirleben» steht für Krneta die gesprochene Sprache im Zentrum. Er nennt es einen «alten Theatertrick», den berühmte Autoren wie Horváth anwandten, dessen Figuren sich in ihrer Sprache wie in fremden Kleidern bewegen; oder wie Canetti, dessen Charaktere sich hinter «akustischen Masken» verstecken. Krneta interessiert das Verunglückte und Abgründige in der Sprache. In seinem neuen Stück setzte er den Alkoholrausch der Politiker sprachlich so anschaulich um, dass einer der Schauspieler auf der Probe meinte, er fühle sich allein durch den Text schon betrunken und müsse den Zustand gar nicht mehr spielen. Mit Lallen und klassischem Torkeln hat das nichts zu tun, viel eher mit einer zunehmenden Verunglücktheit der Sprache, die es den Figuren schwer macht, ihre Fragmente zusammenzubringen.
Krneta betont das Fremdsein in der Sprache: «Ich glaube nicht, dass Sprache Heimat ist. Sie macht uns eher unsere Heimatlosigkeit bewusst.» Das Fremdsein und das Verunglückte kann er in der am Alltag anknüpfenden Mundart besser zeigen als in der mit Literatur assoziierten Hochsprache: «Wenn ich berndeutsch schreibe, muss ich an meine Mutter denken, nicht an Brecht.» Aus diesen persönlichen Assoziationen entstehen die Authentizität und Natürlichkeit seiner Dialoge.Sie scheinen dem Alltag abgehört, sind aber konstruiert und suggerieren Bekanntheit bloss. Sein 2003 erschienenes und mehrfach ausgezeichnetes Buch «Zmittst im Gjätt uss» schrieb Krneta sogar zuerst auf Deutsch und «mundartisierte» es nachträglich. Sein Übersetzer hat es nun als «Mitten im Nirgendwo» wieder ins Deutsche übertragen. Für sein neues Stück ging Krneta von Sätzen aus, die er im Zug gehört hatte, die er dann stilisierte, in einen Rhythmus brachte und zuspitzte.Er schreibt seine Texte berndeutsch, und die Schauspieler übersetzen ihre Rollen schriftlich in ihren jeweiligen Dialekt. So entstehen die authentischen Klangfarben, und sie bewirken eine eigene Dynamik: Der SP-Politiker in «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken» wirkt auf Zugerdeutsch sofort viel intellektueller als in Krnetas berndeutschem Text.
Krneta plädiert für einen bewussteren Gebrauch von Mundart auf der Bühne. Nach seiner Überzeugung hat Theater mit dem Ort zu tun, an dem es stattfindet, und das Allgemeine hat nur Bedeutung, wenn es aus dem Konkreten kommt: «Im Theater sind ganz bestimmte Codes möglich. Diese Codes aber kennt man nur, wenn man sich mit einem Ort wirklich auseinandersetzt.» Krnetas Texte setzen sich kritisch und liebevoll mit der Schweiz und der problematischen Identität der Schweizer auseinander. Sogar der SVP-Mann plant seine Pensionierung in der Karibik und meint: «Di Schwyz cha mi chrützwyys.»Würde ihn ein Frankfurter Theater um ein Auftragswerk bitten, es käme Krneta gar nichts in den Sinn. Erst wenn er von seinen Geschichten ausgeht, die behaupten, von Herzogenbuchsee oder Grindelwald zu erzählen, entsteht diese musikalische, witzige, verunglückte Sprache zwischen Alltag und Kunst, Vertrautheit und Entfremdung, die seine Texte ausmacht.
Guy Krneta: «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken»