© Basler Zeitung; 14.01.2004; Seite 33
Feuilleton
Guy Krnetas Rhapsodie über populäre Schweizer Themen
«Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken»: In Bern wird ein neues Stück des in Basel lebenden Autors Guy Krneta aufgeführt.
Von Andreas Klaeui

An der Bar im Vorraum gibt es zwar einen tadellosen offenen Weissen aus Villeneuve. Trotzdem müssen wir Guy Krneta grundsätzlich beipflichten, wenn er sagt: «Das Leben ist viel zu kurz, um offene Weine zu trinken.» Diesen schönen Titel trägt das neue Stück des in Basel lebenden Autors, und die Bar mit dem Weissen aus Villeneuve steht im Vorraum des Berner Schlachthaustheaters.
Dass sich Alkohol von minderer Qualität zuzumuten in keinem Verhältnis zur Dauer des Lebens steht, ist eine Weisheit von Louis&rsquo Vater. Der Maxime verpflichtet, hat es Louis immerhin zum Besitzer einer Drogerie in Hindelbank und SVP-Gemeinderat daselbst gebracht. An den Sitzungen nimmt er nicht teil, weil er das Geschäft ja nicht schliessen kann, es gibt nur die eine Drogerie in Hindelbank. Sein grosses Abenteuer im Leben war die Heirat mit einer Frau aus der DDR; sie ist vor Jahren gestorben. Und nun hat er sich in der Bundeshauptstadt Bern in einer Beiz das Portemonnaie klauen lassen. «Huere pyynlech. Isch mir huere pyynlech, dass du mi da muesch yylade, Geri», sagt er zum Zufallsbekannten, der mit am Wirtshaustisch hockt. Die 18 Bier, die die beiden im Lauf des Abends zusammenbringen werden, sind im Hintergrund schon bereit (auf der Bühne von Catharina Strebel). Geri ist SP - «aber ken typische», wie er sich zu beteuern beeilt, denn als er die Parteizugehörigkeit seines neuen Kumpels erfährt, bleibt Louis der Mund offen stehen. «Für e Sozi hätti di nit ghalte», bringt er dann raus: «Worum sötti dir e Seich verzelle, mir kenne üs nid», entgegnet Geri.
Stammtisch-Runde
Mit sanft gesetzten, aber nicht immer nur harmlosen Pointen bringt Guy Krneta in seinem Stück - das schon vor der Uraufführung mit dem Welti-Preis der Stadt Bern ausgezeichnet wurde - die beiden verschiedenen, doch so unterschiedlich nicht angelegten (Polit-)Naturen zusammen. In einer drallen, zugleich stilisierten Mundart geht das, die den Leuten aufs Maulwerk schaut, aber nicht einfach nach dem Mund redet. Als «Rhapsodie» bezeichnet Krneta den Text und denkt wohl an Rhapsodien wie die «Ungarischen» von Liszt, die nationale Themen frei ausführen.
So ziehen Louis und Geri von einer Beiz zur nächsten und landen doch immer an demselben Stammtisch. Weil Krneta seinen Figuren mit Sympathie begegnet, kann er die hochgradige Komik, die sie entfalten, auch mit einer Irritation unterfüttern: Sie reden von Wein, trinken aber Bier; sie wagen sich, zwei grosse Buben, ins Rotlicht-Cabaret, gehen dann aber nur aufs Pissoir; sie debattieren Gott und die Welt und sitzen am Stammtisch; sie zehren von Mythen und empfinden nichts als Frust.
Denn auch die Arbeiterbewegung ist ja nicht mehr ganz, was sie einmal gewesen ist. Und wenn Pöstlersohn Geri flucht, dass die Post jetzt nicht nur Schoggistängeli verkauft, sondern eine Filiale nach der andern schliesst wie gerade die in Morgarten, dann schreckt Louis, der Gewerbler, hoch: «Usgrächnet z Morgarte» (weil für ihn Morgarten nicht irgendein Filialort ist, sondern mit nationalen Symbolen besetzt). Und dass am Ende selbst der Bärengraben, Berns nationales Kulturerbe, der neuen Zeit geopfert wird, macht die beiden Stammtisch-Helvetier ganz und gar zu zoologischen Exemplaren.
Bärengraben-Irritation
Dass wir, wenn wir über die beiden Looser lachen, uns selbst nicht ganz aus dem Auge verlieren, ist dem Ernst zu verdanken, mit dem Krneta sie betrachtet. Er, aber auch die Schauspieler Herwig Ursin und Thomas U. Hostettler, die ihre Figuren auch mit zunehmendem Alkoholpegel nie an billige Effekte verraten. Und gewiss die Inszenierung von Krnetas Partnerin Ursina Greuel - Koleiterin der Autorenreihe «Antischublade» im Raum 33 -, die die Pointen trocken setzt und von Anfang an eine Bärengraben-Irritation im Bier-«Bären» mitschwingen lässt.
Nach den Vorstellungen im Schlachthaustheater wird «Das Leben ist viel zu kurz...» in Zürich im Fabriktheater zu sehen sein. Ein Veranstaltungsort in Basel sei noch nicht gefunden, bescheidet uns das Basler Produzenten-Duo - das kann sich ja noch ändern. Am 29. und 30. Januar gibt es im Vorstadttheater Gelegenheit, Guy Krneta mit einer andern Theaterarbeit kennen zu lernen: dem Stück «Zmittst im Gjätt uss», in dem eine Reisegruppe am Flughafen stecken bleibt und erzählerisch doch zum Abheben kommt. Auch hier hat Ursina Greuel inszeniert, Premiere war im Herbst mit viel Erfolg im Berner Theaterfestival «auawirleben».
Vorstellungen in Bern bis 17. Januar. - «Zmittst im Gjätt uss» ist in einer Hörspielfassung heute abend um 20 Uhr auf SR DRS II zu hören