© Tages-Anzeiger; 17.12.2005; Seite 50
Kultur

Sprachliches Hochgebirge

Im Fabriktheater erkunden Matterhorn-Produktionen die Sprache des Zofinger Autors und Komponisten Alfred Wälchli.
Dicke Tropfen kleben an den Autoscheiben. Die Sicht ist schlecht, die Strasse kurvenreich. So schlingert das Publikum auf Michael Spahrs Videoprojektionen abenteuerlich durch eine nebelverhangene Berglandschaft einem Hochtal entgegen, wo an einem klaren See das imposante Nobelhotel «Zum grossen Hunger und Durst» thront. Wo die Kronleuchter giftgrün leuchten, feierlich gedeckte Tafeln auf illustre Gäste warten und das Personal von opulenten Krönungsfeierlichkeiten und Hochzeitszeremonien träumt. Doch an Stelle der erhofften Royals naht der Konkurs.
Regisseurin Ursina Greuel begibt sich mit dem Theaterabend «Die Versuchung, die Romanza der Eluvies von Alfred Wälchli zu spielen» mitten in den märchenhaften wälchlischen Sprachkosmos. Gemeinsam mit einem präzisen siebenköpfigen Ensemble versucht sie, die eng verschränkten Satzkombinationen zu dechiffrieren. Sie spürt den Emotionen nach, die in den bizarren Sprachschöpfungen stecken, bringt Buchstaben, Lautfolgen und Wörter zum Klingen. Stark ist die Inszenierung, wo sie - wie etwa im chorisch vorgetragenen Prolog oder den monologischen Schimpftiraden - ganz auf Rhythmus und Melodie der Sprache setzt.
Denn die Figuren des vor zwei Jahren verstorbenen Wälchli verharren trotzig in typisierten Schemata. So gibt es neben Stina Durrers vorwitziger Journalistin Eluvies etwa das zickig-intrigante Dienstmädchen (Franziska von Fischer) oder Krishan Krones gnadenlos narzisstischen Komponisten. Auf der Handlungsebene wird der (stark gekürzte) Text dadurch oft voraussehbar. Er wäre zäh, sorgte nicht Greuels Gespür für die Situationskomik und den skurrilen Witz für eine angenehme Geschmeidigkeit.

Charlotte Staehelin